Rede zum 70. Jahrestag des Bombenangriffs auf Attendorn

28. März 2015

Bombenangriff

Bei der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des verheerenden Bombenangriffs auf Attendorn habe ich folgende Rede gehalten:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Namen von Rat und Verwaltung der Hansestadt Attendorn darf ich Sie alle zu dieser Gedenkfeier begrüßen. Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser Gedenkfeier gekommen sind. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, den Toten und ihren Angehörigen Respekt zu erweisen und im Gedanken darüber nachzudenken, welche Haltung wir angesichts von Krieg und Gewalt in der Welt einnehmen. Und ich möchte dem Posaunenchor der Evangelischen Kirchengemeinde Attendorn unter der Leitung von Stephan Reising danken, der dazu beiträgt, unserer Gedenkveranstaltung einen würdigen Rahmen zu verleihen.

Gedenktage und Gedenkfeiern haben ihre Rituale – aber sie sind mehr als ein Ritual. Indem wir gedenken setzen wir ein Zeichen: Wir bekunden, dass wir uns unserer Geschichte stellen; wir verleihen unserer Trauer und unserem Entsetzen Ausdruck; wir machen deutlich, welche Werte für uns zählen und Geltung beanspruchen.

Gerade in diesem Jahr kommt dem Gedenken in unserer Stadt eine besondere Bedeutung zu. Nicht ohne Grund stehen wir alle heute Abend hier an diesem historisch so bedeutungsvollen Platz unserer Heimatstadt. Als an dieser Stelle vor fast 70 Jahren ein riesiges Munitionsdepot im Keller des Rathauses explodierte und 35 Menschen in den Tod riss, die genau hier auf dem Klosterplatz standen, um ihre Lebensmittelkarten in Empfang zu nehmen, war dies der Schlusspunkt eines Zeitkapitels von 12 Jahren, des dunkelsten Abschnitts in unserer Geschichte, für den es im fast 800jährigen Bestehen der Stadt kein vergleichbares Beispiel gibt.

Vorausgegangen war eine weitere Katastrophe, die sich auf den Tag genau heute vor 70 Jahren ereignet hat. Und die der Anlass für unsere heutige Gedenkfeier ist.

Am 28. März 1945 warfen die insgesamt 22 Bomber der Royal Air Force um 10.50 Uhr und um 11.10 Uhr ihre totbringende Last in Form von 132 Fünf-Zentner-Bomben über unserer Stadt ab. Dabei starben 140 Menschen, 286 Wohnungen wurden zerstört.

Der 28. März und der 15. Juni 1945 hatten die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, der seit 1939 tobte, unmittelbar vor die eigene Haustür der Attendorner gebracht, ein Krieg, der die Folge einer nationalsozialistischen Regierung war, die seit 1933 rücksichtslos alles und jeden vernichtete, was sich ihr in den Weg stellte. Die Nazis hatten nach der sogenannten Machtergreifung nicht lange gefackelt, ihre expansionistischen Ziele und ihren Rassenwahn in die Tat umzusetzen. Sechs Jahre nach der Machtübernahme löste Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg aus, einen noch fürchterlicheren Krieg, als es der vorhergehende gewesen war. Und in seinem Schatten, im Rücken der Front, fand das unfassbare Verbrechen des Holocaust statt, die Ermordung von Millionen deutscher und europäischer Jüdinnen und Juden durch die Nazis und ihre Schergen.

Am Ende lag alles in Trümmern – in jeder Hinsicht des Worts. Verwüstete Städte und Landstriche, verwaiste Kinder, über 55 Millionen Tote sowie Abermillionen Verwundete und Flüchtlinge. Unser Land erreichte militärisch und politisch, aber auch wirtschaftlich und vor allem moralisch einen Tiefpunkt.

Und auch in Attendorn flossen Tränen der Trauer. Am 28. März 1945 – und damit sechs Wochen vor Kriegsende – war die Stadt noch in eine Katastrophe gestürzt worden. Mit dem Einmarsch der Amerikaner am 10. und 11. April hofften die Menschen auf ein schnelles Ende des Krieges, dass durch die bedingungslose Kapitulation am 8. Mai, Gott sei Dank, auch schnell erreicht wurde. Für Attendorn bedeutete dies aber gleichzeitig die unbeabsichtigte aber unheilvolle Vorbereitung einer weiteren Katastrophe, als nämlich die Alliierten den Befehl ausgaben, sämtliche Munitionsreste, die sich in Attendorn und Umgebung fanden, im Keller des Rathauses einzulagern. Warum dieses Munitionslager am 15. Juni 1945 explodierte, ist bis heute nicht geklärt.

Meine Damen und Herren,

durch die Initiative von Dr. Theo Heller, Rudi Keimer und Günter Witte wurde bereits im Jahr 2009 genau hier an dieser Stelle mit der Gedenkstele ein sichtbares Zeichen zur Erinnerung an dieses dunkle Kapitel Attendorner Stadtgeschichte errichtet und eingeweiht.

Am 65. Jahrestag der Detonation vor fünf Jahren konnten wir hier im Rathausfoyer mit der Dokumentation „Opfer von Krieg und Gewalt“ einen weiteren Teil dieser Erinnerungsstätte der Öffentlichkeit übergeben. Ziel war und ist es, vor allem den zukünftigen Generationen nicht nur die Namen von 432 Opfern zu erhalten, sondern vor allem in Text und Bild die Erinnerung an die dunklen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wach zu halten. Insbesondere unserem Stadtarchivar Otto Höffer ist es zu verdanken, dass wir mit dieser beeindruckenden und multimedial aufbereiteten Erinnerungsstätte ein bleibendes Zeichen der Mahnung und Erinnerung gesetzt haben. Es ist erfreulich, dass sich immer wieder Besuchergruppen – insbesondere Schülergruppen – im Foyer des Rathauses einfinden, um sich an diesem besonderen Ort mit diesem besonderen Kapitel unserer Stadtgeschichte auseinanderzusetzen.

Schon jetzt möchte ich Sie ermuntern, der Erinnerungsstätte im Erdgeschoss des Rathauses entweder noch gleich im Anschluss an diese Gedenkfeier oder in nächster Zeit einen Besuch abzustatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

bevor wir in wenigen Minuten an dieser Stelle mit der Niederlegung eines Kranzes ein sichtbares Zeichen unserer Trauer und unserer Erinnerung setzen, darf ich den Posaunenchor Attendorn noch einmal um einen musikalischen Beitrag bitten.

[Posaunenchor Attendorn]

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Gedenken macht Sinn. Denn Gedenken erzählt die Wahrheit über Krieg und Gewalt. Und Gedenken versucht, den Opfern wieder ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Millionen Tote – das ist eine Zahl, eine unvorstellbare Zahl.

Am 28. März 1945 starben allein in unserer Stadt 140 Menschen. 140 Menschen, die viel zu früh aus ihrem Leben gerissen wurden und denen die Chance genommen wurde, ihre Träume zu verwirklichen. Menschen, die Angehörige und Freunde hatten, die sie vermissten und um sie trauerten. Solche Schicksale Einzelner, sie sprechen auch junge Menschen von heute an, Jugendliche, die in ganz anderen Zeiten und einem ganz anderen politischen Umfeld leben und für die die Weltkriege und die NS-Zeit längst Geschichte sind.

Gedenken, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ist kein Selbstzweck. Gedenken ist nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet, sondern ebenso auf Gegenwart und Zukunft. Denn Gedenken sensibilisiert dafür, frühzeitig zu registrieren, wenn Frieden, Freiheit oder die Menschenrechte bedroht sind. Und Gedenken sensibilisiert dafür, zu erkennen, von welch großem Wert es ist, in Frieden und Freiheit zu leben.

Unsere Geschichte zeigt uns, welch empfindliche Güter Frieden, Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte sind. Sie werden einem nicht geschenkt, sondern sie müssen errungen werden; sie bleiben nicht automatisch erhalten, sondern müssen bewahrt und verteidigt werden. Immer und überall. Aber unsere Geschichte zeigt auch, dass es sich lohnt, für diese Werte einzutreten, dass wir Frieden und Freiheit gewinnen und erhalten können.

„Der Friede“, hat der amerikanische Karikaturist Kim Hubbard einmal festgestellt, „der Friede hat ebenso viele Siege aufzuweisen wie der Krieg, aber weit weniger Denkmäler.“

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

stehen wir zusammen dafür ein, dass es keine weiteren Mahnmale für Opfer von Krieg und Gewalt mehr zu geben braucht; sorgen wir dafür, dass der Friede viele neue Denkmäler bekommt.

Ich bitte sie nun, während der Kranzniederlegung allen Opfern von Krieg und Gewalt zu gedenken. Insbesondere gedenken wir der 140 Attendorner, die an diesem Tage vor 70 Jahren ihr Leben ließen.

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